Preisträger Sparda-Bank Hannover Stiftung Dirk Dietrich Hennig
von Matthias Reichelt
in: Katalog: zug um zug 08, Hannover 2008
Der diesjährige Preis der Sparda-Bank Hannover Stiftung wurde Dirk Dietrich Hennig zuerkannt, der sich in einer komplexen und vielschichtigen Arbeit mit der Biografie eines Künstler aus dem
letzten Jahrhundert beschäftigt. In liebevoller Perfektion und mit überzeugender Präsentation vermittelt Dirk Dietrich Hennig einen detektivischen Einblick in das Leben eines Menschen, der sich
aufgrund einer Krankheit zu verlieren droht. Die Selbstvergewisserung in Form einer Foto- und Textdokumentation, notariell beglaubigt durch die Rathausbehörde der Stadt Bremen, ist die
Therapie des Patienten gegen eine unaufhaltsam fortschreitende Krankheit, der retrograden Agnosie, die zum völligen Verlust des Kurzzeitgedächtnisses führt. Zwecks Orientierung versichert
sich der Patient notgedrungen der eigenen Alltagstätigkeiten und damit seiner Existenz in Form der Dokumentation. Da sich dieses biografische Kapitel des 1926 in Lorquin, Frankreich,
geborenen Künstlers Jean Guillaume Ferrée in den 70er Jahren abspielt, entsprechen die Dokumente in ihrer haptischen Ästhetik jener Zeit und zeigen auch Spuren eines Alterungsprozesses.
Doch nichts ist, wie es scheint. Dirk Dietrich Hennig erzählt eine fiktionale Geschichte, die er in allen Details bis hin zur Oberfläche sehr überzeugend historisiert. Die Fotos sind in der
entsprechenden Archivästhetik mittels Ösen in uniformer Art und Weise im Querformat auf den DIN A 4-Bögen fixiert und werden museal wie „archäologische Fundstücke“ präsentiert. Dirk
Dietrich Hennig spielt dabei selber die Rolle des Künstlers. Er hat der von ihm dargestellten Figur eine komplexe Biografie erfunden, die sich in einem politisch-künstlerischen Kontext bewegt,
den er mit Metaebenen ausstattet und mit Sekundärquellen belegt. Ein vielschichtiges Vexierspiel aus Fiktion und Realität, das der Betrachter entwirren muss und mit dem Hennig ironisch
sowohl auf die Mythen von Künstlerbiografien, die Illusion von Empirie, kulturellem Gedächtnis und totaler Überwachung verweist.
Matthias Reichelt, Berlin 2008
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